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Es ist ein raues Leben, das sich Dennis Freitag, 21 Jahre jung, da ausgesucht hat. Besonders im Winter, wenn sich der frühe Morgen noch wie die tiefe Nacht anfühlt und im alten Fischereihafen der kalte Ostseewind zu spüren ist, zieht wohl manch eine:r den Hut vor den Männern, die unter diesen widrigen Bedingungen ihre Schiffe klar machen und sich auf einen langen Tag auf See vorbereiten. Wann dieser enden wird, ist morgens nicht absehbar. „Wenn man so richtig auf den Teich rausfährt, ist man leicht mal 12 Stunden unterwegs“, weiß Dennis Freitag zu berichten.
„Auf den Teich“ – damit ist natürlich die Ostsee gemeint, die sich vor Travemünde verheißungsvoll in ihrer ganzen Weite auftut. Bis zu 28 Seemeilen geht es dann raus, also rund 50 km: Mit einem betagten Kutter und Gegenwind kann das locker zwei, drei Stunden dauern. Jungkapitän Dennis nutzt diese Zeit dann, um das Logbuch zu pflegen. Wie viel Meter Netz haben sie heute dabei, welche Maschenweite, in welches Fanggebiet soll es gehen. „Da muss man ganz genau sein, die Kontrollen sind streng“, sagt er ernst. Überhaupt merkt man der personifizierten Zukunft des Travemünder Fischereibetriebs sein junges Alter kaum an. Na klar, rein äußerlich hat man einen drahtigen Kerl vor sich, dessen jungenhaften Gesicht Sonne, Wind und Wellen noch nichts anhaben konnten, aber wer ein paar Worte mit ihm spricht, begreift schnell: Hier weiß einer ganz genau, was er will und vor allem, was er tut.
„Harry sagt immer: Fischer werden ist nicht schwer, Fischer sein dagegen sehr“, erzählt Dennis Freitag lachend. Gemeint ist Harry Lüdtke, eine Ikone des Fischereihafens, der noch in der alten Fischersiedlung an der Trave aufgewachsen ist und Zeiten erlebt hat, als noch über 70 große Kutter von Travemünde aus zum Fischen aufbrachen. Die Siedlung gibt es heute nicht mehr und zusammen mit Harry Lüdtke gehen 2015 vier Berufsfischer ihrem Handwerk in Travemünde nach. Der 65Jährige ist so etwas wie der Mentor von Dennis Freitag, eine Art Ziehvater, der ihm die Leidenschaft für diesen Beruf vermittelt hat. Das geschäftige und doch immer besonnene, norddeutsch bodenständige Treiben am Hafen erlebte Dennis Freitag bereits als ganz lütter Travemünder. Sein Vater nahm ihn oft hierhin mit und bald ging er Harry mit ersten Hilfsarbeiten zur Hand. Mit zehn Jahren nahm Harry ihn das erste Mal zum Aalfang mit in die Wik, ein ruhiges Fanggebiet Richtung Lübecker Innenstadt. „Damals war die Trave noch Hauptfanggebiet für den Aal“, berichtet Dennis und klingt dabei wehmütig wie ein alter Kapitän. „Unsere Brotfische sind heute Dorsch und Hering. Seit zwei Jahren verirrt sich auch der Seelachs immer mehr in die Bucht“. Es klingt noch immer merkwürdig, wenn der 21Jährige von „damals“ spricht, doch der tägliche Umgang mit den erfahrenen Fischern und seine Liebe zum Beruf haben ihn innerlich längst zu einem echten Seebären reifen lassen, der nächstes Jahr voraussichtlich seinen eigenen Betrieb übernehmen wird.
Nachdem Dennis 2013 sein Kapitänspatent erworben hat, fehlt ihm zu seinem Glück nun nur noch der Meisterbrief. Doch es gibt nicht viele junge Menschen wie ihn, die sich ein Leben als Fischer vorstellen können. Fünf Anwärter müssen es mindestens sein. Das klingt nicht viel, aber bei rund 150 Berufsfischern in ganz Schleswig-Holstein und vier in Travemünde – was will man da erwarten. Es steht nicht gut um den alten Beruf des Fischers und Dennis hofft, dass die Lübecker Politik den Fischereihafen und seine „Bewohner“ noch lange als schützenswert einstufen wird. „Die Leute kommen ja hierher, weil der Hafen so alt und ursprünglich ist. Zu viel moderner Kram ist auch nicht schön. Und fangfrischen Fisch direkt vom Kutter bekommt man nicht überall“. Er selbst isst am liebsten Bratfisch, den er selbstverständlich in allen Variationen zubereiten kann. Das hören die Mädchen sicher gerne, oder? „Tja, das mit den Mädels ist nicht so leicht“, gibt Dennis offen zu. Er sei ja schon froh, wenn er mit gleichaltrigen Fischern zusammen komme und Frauen seien in dem Berufsfeld eben eher selten.
Die Treue EINER Dame allerdings ist Dennis bereits gewiss. Die Rede ist von seinem eigenen Kutter „Heike“, die – bis ihr Kapitän seinen Meister gemacht hat – geduldig im Travemünder Hafen auf ihren Einsatz wartet. „Heike“ ist eine erfahrene Schiffsdame, die mit ihrem Vorbesitzer Heinrich Raddatz schon 40 Jahre in den Fischgründen rund um Travemünde unterwegs war. Mit ihren 40 Jahren ist „Heike“ im besten Kutter-Alter. „Die halten ewig“, winkt Dennis ab. Nur, wenn es um ihren Preis geht, will er mit der Sprache nicht so recht rausrücken. „Berufsgeheimnis!“, zwinkert er, „und das Wertvollste sind sowieso die Rechte und Fangquoten, die mit dem Kutter verbunden sind“. Auch das Equipment ist nicht zu unterschätzen: Auf der „Christoph“, Harrys größtem Kutter, den Dennis derzeit steuert und wahrscheinlich auch bald übernehmen wird, liegen unzählige Netze, die einen Laien schon beim Anblick des riesigen, scheinbar hoffnungslos ineinander verknoteten Maschenberges zur Verzweiflung bringen. Für einen einzigen „Beutezug“ werden schon mal über 100 Stellnetze ausgelegt – und das meist mit zwei Mann. „Das ist schon klar gemacht“, zeigt Dennis trocken auf einen dieser Haufen, „und unser Decksmann Paul hat die anderen da drüben auch locker in zwei Stunden fertig“. Na, gut dass es Profis gibt!
Noch schöner ist es, wenn diese Profis und harten Kerle von einem auf den anderen Moment plötzlich zum Romantiker werden. Wir sitzen in einem Café direkt an der Kaikante, das Tuckern eines Kuttermotors nähert sich. Plötzlich herrscht Aufruhr im eben noch beschaulichen Hafen: Gefühlt alle Möwen Travemündes schwingen sich auf und nehmen Kurs auf den ersehnten Futterlieferanten. Ein Ärgernis für die Fischer? Dennis lächelt nur und sagt noch immer auf`s Wasser schauend: „Wir arbeiten halt mit der Natur. Manchmal mischt sich sogar ein Seeadler unter die Möwen. Das sieht toll aus – dieser große Vogel mitten unter ihnen“, und dann nach einer kurzen Pause: „Am schönsten aber sind die Farben! Der Himmel auf See ist so unglaublich schön, das kann man nicht in Worte fassen“. Stille. Zum Fischer muss man eben geboren sein.