Zurück an unseren Holztisch. Inzwischen liegt Kaffeeduft in der Luft und Zsuzsa hat eine Kerze angezündet. Wie wohltuend muss es sein, hier anzukommen, nach einer langen Reise, manchmal entbehrungsreich und doch mit einem großen Ziel vor Augen. Lübeck liegt auf der jütländischen und baltischen Pilgerroute nach Santiago de Compostela, dem Pilgerziel, das spätestens seit Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ auch Nicht-Gläubigen ein Begriff ist. Fünf Jahre lang hat Zsuzsa mit ihrer Familie Pilger:innen eine Herberge gegeben, einen Ort zum Durchatmen, einen Platz an „unserem“ Tisch. Man wünschte, er könnte wirklich sprechen und uns all die Geschichten zuflüstern, die hier erzählt worden sind. Von platten Füßen, Zweifeln und Hoffnung, von Aufgabe und Vorfreude: Gespräche über Gott und die Welt – im wahrsten Sinne des Wortes. Zum Glück gibt es ein Gästebuch aus dieser Zeit, das einen kleinen Einblick gewährt, wie viel den Pilger:innen die Stunden bei und vor allem inmitten der Familie bedeutet haben. Ewig könnte man sich darin vertiefen. Persönliche Geschichten von Menschen, die auf der Suche sind – nach Abstand, Trost, oder „einfach“ nach sich selbst. Dabei strahlt das Buch eine unglaubliche Fröhlichkeit aus und man sieht sie förmlich vor sich, diese trotz allen Tiefgangs oft heiteren Runden an Zsuzsas Holztisch. „Glücksgriff“, „Pilgerparadies“ – Worte wie diese beschreiben immer wieder die große Dankbarkeit ihrer Gäste aus aller Welt. Eine Frau aus Norwegen war 424 Tage unterwegs, bevor sie bei Zsuzsa eingekehrt ist, ein anderer bereits auf seiner 18. Etappe. Und wir? Wir überlegen uns dreimal, ob wir die Strecke zum Bäcker zu Fuß gehen oder nicht doch lieber das Auto nehmen sollen. Alles muss schnell gehen in unserer Zeit, eine Pilgerreise ist das Gegenmodell und für zunehmend mehr Menschen der richtige Weg, das sprichwörtliche Hamsterrad zu verlassen.