Nachmittags im Sand

Durch die nackten Füße als unanständig aufgefallen

Die Erfolgsstory des Seebades Travemünde – erzählt von Wolf-Rüdiger Ohlhoff

Gestatten, Wolf-Rüdiger Ohlhoff! Der pensionierte Travemünder Hobbyhistoriker ist ein Tausendsassa und Multitalent in Sachen Kunst und Kultur. An der Westküste in Husum geboren fand er nach einer Gesangsausbildung sein Glück in Travemünde und kennt sich in der glanzvollen Geschichte des historischen Seebades aus wie kein Zweiter. Er volontierte Ende der 60er Jahre im noblen Kurhaus-Hotel, assistierte der Geschäftsleitung im legendären Casino Travemünde, war Empfangschef im Hansa-Hotel und hat so ganz nebenbei den mittlerweile berühmten Passat-Chor erfunden. Sein besonderer Stolz: er besitzt heute die wohl größte Jazz-Schellackplattensammlung im Norden. Ohlhoff erzählt leidenschaftlich gern Geschichten über Travemünde und posiert bei seinen Auftritten mitunter als Sommerfrischler der Jahrhundertwende in elegantem Zwirn mit „Kreissäge“ und Spazierstock. So auch im Ballsaal des Columbia Hotels Casino Travemünde, das vor hundert Jahren als „Kursaal“ zur Unterhaltung der Kurgäste eröffnet wurde, und heute als Luxushotel für exklusives Wohlbefinden sorgt.

Auf den Kopf gestellt

Internationale Berühmtheiten wie Josephine Baker, Sophia Loren, Thomas Mann, Caterina Valente und Gunter Sachs gaben sich in Travemünde die Klinke in die Hand. Wolf-Rüdiger Ohlhoff kennt sie alle, nicht persönlich, aber in puncto Travemünde als Treffpunkt der Reichen und Schönen kann dem Travemünder Hobbyhistoriker so leicht keiner was vormachen. Er ist ein wandelndes Lexikon und plaudert gerne mal aus dem Nähkästchen. Angefangen hat alles 1802, als das Seebad Travemünde gegründet und das Leben im ursprünglichen Fischerdorf so richtig auf den Kopf gestellt wurde. Baden im Meer kam damals in den besseren Kreisen groß in Mode, wenn auch vorerst nur von einem hölzernen Badekarren aus oder in einer der sechs Badewannen im Warmbadehaus am Strand. Schon im ersten Jahr wurden 3.000 Badegäste gezählt, das ließ die Kassen klingeln und die für Travemünde heute so typische Seebadarchitektur schnell wachsen. Hotels, Gasthäuser, Strandvillen und Vergnügungstempel sprossen wie Pilze aus dem Boden und Travemündes einzigartige Erfolgsstory als Seebad nahm ihren Lauf.

 

Die Warteschlangen an den Badekarren und im Warmbadehaus wurden immer länger, bis 1873 endlich eine Seebadeanstalt auf Pfählen in das Wasser gebaut wurde. Das beflügelte den Badebetrieb ungemein, denn nun konnten viele Gäste gleichzeitig im Meer baden, wenn auch nach wie vor nach Männlein und Weiblein getrennt.

Nachmittags kurz mit nackten Füssen im Sand

Der technische Fortschritt bescherte Travemünde 1824 die erste Dampfschifffahrtslinie. Seitenraddampfer „Princessia Wilhelmine“ brachte einmal wöchentlich Gäste aus dem vornehmen Kopenhagen über die Ostsee nach Travemünde. Bald folgten Schiffsverbindungen von und nach St. Petersburg, Riga und Reval. Berühmte russische Zeitgenossen, die damals in Travemünde logierten, waren Iwan Turgenjew, Nikolai Gogol und Fjodor Dostojewski. So richtig voll in Travemünde wurde es dann ab 1882, als die erste Eisenbahn kam und ein paar Jahre später auch die Automobile sich ihren Weg bahnten. Gäste aus Nah und Fern genossen in Travemünde den Glamour der Kaiserzeit und reisten als Besucher zu den Segelwettbewerben der Travemünder Woche und den Trabrennen auf dem Priwall an. Berühmte Namen wie Joseph von Eichendorff, Emanuel Geibel, Richard Wagner, Clara Schumann, Edvard Munch und natürlich Thomas Mann reihen sich in die prominente Gästeliste des historischen Seebades ein. Franz Kafka schrieb im Juli 1914 folgende Anmerkung in sein Tagebuch: „Nachmittags kurz mit nackten Füßen im Sand. Unangenehm aufgefallen“. War es damals doch noch verpönt, nackte Haut in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Von Glücksspiel und Skandälchen

Das Glückspiel war magischer Anziehungspunkt für die High Society und hat den Ruf Travemündes als mondänes Seebad entscheidend geprägt. 1833 wurde es im Kurhaus – dem heutigen A-ROSA Resort - offiziell genehmigt und Roulette, Rouge et Noire und Pharao hatten von Stund an eine magische Wirkung auf betuchte Gäste aus Nah und Fern. Vierzig Jahre später im Jahr 1872 wurde das Glücksspiel unter Reichskanzler Bismarck aber verboten und in Travemünde klappten die Spieltische wieder zu. Erst 1949 eröffnete der Spielbetrieb wieder, diesmal im „Kursaal“ aus dem Jahr 1914, dem heutigen Columbia Hotel Casino Travemünde, der die Kriegsjahre unbeschadet überstanden hatte. Es verhalf dem Seebad zu einem unglaublichen Comeback in der Nachkriegszeit als glamouröses „Monte Carlo des Nordens“, auch liebevoll „Travemonte“ genannt. Legendär war der Casino-Nightclub „La belle Epoque“, der in den 50er und 60er Jahren mit den Showauftritten internationaler Stars Furore machte. Josephine Baker, Lys Assia, Lale Andersen, die Kessler-Zwillinge, Lou van Burg, Vico Torriani, Eddie Constantine und Marlène Charell waren hier zu Gast und zogen andere berühmte Persönlichkeiten nach. Sophia Loren, Vittorio de Sica und Marlene Dietrich gehörten dazu. Letzteren verweigerte man – wie hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde - angeblich den Zutritt zum Spielcasino, weil sie als Frau einen Hosenanzug trug, das erlaubte die strenge Kleiderordnung nicht. „Richtige Skandale hat es bei uns aber nie gegeben“, betont Ohlhoff und beruft sich auf die norddeutsche Gelassenheit, die so manch bühnenreifes Temperament diplomatisch um den Finger wickelte. Eine „Bannmeile“ von 15 km verhinderte übrigens, dass sich die Travemünder selbst um Haus und Hof spielten, hatten die Stadtväter doch Bedenken, dass die Versuchung des nahgelegenen Casinos die Bürger in den baldigen Ruin treiben könne.

Seebad aus Überzeugung

„Travemünde blickt auf eine Wahnsinnsgeschichte zurück,“, so Ohlhoff - sichtlich stolz auf den Erfolg „seines“ Seebades. Ob er einen Lieblingsplatz in Travemünde hat? Na klar, zwei sogar! Er liebt die Viermastbark Passat, die seit 1960 hier vor Anker liegt und längst zum Wahrzeichen Travemündes geworden ist, und er sitzt in den frühen Morgenstunden gern auf der Bank der neuen Seebrücke, um „große Pötte zu gucken“, die majestätisch ein- und auslaufen – ganz wie in alten Zeiten. Wahnsinn!