Belebtes Welterbe

Von Tradition und schönen Dingen

Manchmal ist es ja so: Da passt etwas zusammen wie ein Puzzleteil ins andere. Dann ist es die Fügung, die sich entschieden hat, zwei Welten, zwei Lebensfäden, zwei Menschen miteinander zu verknüpfen. So ist es wohl gewesen als sich die Wege von Marcus Niendorf und Dietlind Wolf kreuzten. Er ist Apotheker und Inhaber der Lübecker Löwenapotheke, sie multitalentierte Künstlerin. Und die gemeinsame Vision ist die Löwenmanufaktur.

In den Gemächern der Kaiserin

Es duftet nach Lavendel, nach Kardamom und Sandelholz. Der Sternenhimmel an den hohen Decken ist handgemalt, das Mobiliar eine harmonische Kombination aus zurückhaltender Moderne und antiquarischen Schätzen aus dem 18. Jahrhundert. Ein Besuch in der Löwenapotheke ist wie eine Reise in der Zeit. Ätherische Öle liegen in der Luft und mit ihnen weht Geschichte aus allen Ecken des Hauses um den Besucher herum. Das stolze Patrizierhaus ist ein Juwel im Zentrum der Altstadt, denn es ist Lübecks ältestes Bürgerhaus. Erbaut um 1230, ist es sogar rund 250 Jahre älter als unser berühmtes Holstentor. „Hier residierte schon Kaiserin Elisabeth, Gattin des römisch-deutschen Kaisers Karl IV, während eines Staatsbesuches 1375“, erzählt Marcus Niendorf.

1812 – Das Gründungsjahr

Und zu erzählen gibt es viel für den Lübecker Apotheker, der eigentlich auch Historiker oder Architekt hätte werden können, denn ihn erfüllt ein schier unendliches Wissen um die Historie des Backsteinhauses, das seit 1812 so eng mit seiner Familiengeschichte verbunden ist, dem Gründungsjahr der Löwenapotheke. Die hanseatische Tradition, die Zeit der Buddenbrooks, die Chronik Lübecks haben hier ihre Spuren hinterlassen und sind nach wie vor spürbar in den Räumen der Löwenapotheke. Zu dieser geschichtsträchtigen Atmosphäre passt das Konzept, mit dem sich Marcus Niendorf seine Nische geschaffen hat: „Ich habe die Apotheke als jüngstes von vier Kindern in vierter Generation von meinem Vater übernommen. Nach dem Krieg hat er das Geschäft wiederaufgebaut und profitabel gemacht. Und von mir wurde natürlich erwartet, dass ich die Tradition fortführe. Das macht mir jetzt auch viel Freude, vor allem, weil ich eine Richtung gefunden habe, von der ich denke, dass sie das Potenzial hat, das Überdauern der Apotheke in meinem Sinne zu gewährleisten.“

Der Löwenbändiger

Die Rede ist von der Löwenmanufaktur. Seit 2006 entwickelt Marcus Niendorf traditionelle Rezepturen nach Quellen aus dem urgroßväterlichen Familienarchiv. Die Idee, einen Schritt zurückzutreten und eine Gegenbewegung zu der sich automatisierenden Apothekenwelt zu schaffen, schwirrte schon länger in seinem Kopf herum und nahm bei dem Besuch einer florentinischen Klosterapotheke weiter Gestalt an. Bestärkt wurde er in der Anfangszeit von dem Pflegepersonal der Lübecker Universitätsklinik. Ein beruhigendes Öl zur Behandlung eines Panikpatienten war vonnöten und brachte den Erfolg. Die Geburtsstunde einer neuen Produktlinie: Öle für die Psyche. Sie tragen ausdrucksstarke Namen wie „Löwenbändiger“, „Balsam für die Seele“ oder „Löwenkraft“ und haben sich bei den Kunden der Löwenmanufaktur bewährt. „Es fügt sich alles komplett sinnhaft zusammen“, so Niendorf, „wir haben hier dieses geschichtsträchtige Haus, ich habe dieses unerschöpfliche Familienarchiv und mein Fachwissen, sowie meine Vision von der Löwenmanufaktur, die ich mit absoluter Hingabe verfolge.“

Dinge müssen schön sein

In der Tat, die überaus vielfältige Produktpalette beinhaltet mittlerweile pflanzliche Rezepturen unter anderem zu den Bereichen Psyche, Immunsystem, Reise und Geburt. Und ja, sie fügt sich auch optisch perfekt in die „schöne, alte Apothekerwelt“ der Löwenapotheke ein.
Hier kommt Dietlind Wolf ins Spiel. Marcus Niendorfs passgenaues Puzzleteil sozusagen, denn sie teilen die gleichen Interessen, die gleiche Vision: „Dinge müssen schön sein“. Architektur, Kunst, Design, Tradition, die Liebe zum Detail und zur Echtheit der Dinge, all das verbindet die beiden – auf den ersten Blick so unterschiedlichen – Protagonisten dieser Geschichte.

 

Dietlind Wolf ist Künstlerin durch und durch. „Ich bin quasi kreativ geboren, das zeigte sich damals schon im Kindergarten. Dort wurde glücklicherweise nach dem Montessori-Konzept gearbeitet, was mir viele Möglichkeiten gab, meine Kreativität auszuleben. Ich habe tatsächlich noch etliche Bilder von mir aus dieser Zeit“, erinnert sie sich. Und so startet sie nach dem Abitur in eine überaus abwechslungsreiche künstlerische Karriere: Textildesign im Haute-Couture-Bereich in Italien und der Schweiz, ein Restaurant im Kollektiv betrieben, eine Lehrtätigkeit in Hamburg an der Akademie für Mode und Design, Prop Styling für internationale Magazine, vor allem im Foodbereich, und schließlich die Fotografie und eine eigene Keramiklinie.

Vision trifft Tradition

Als sich ihre Lebenswege kreuzen, hat Dietlind Wolf ihr Atelier seit Jahren in Hamburg. Die Liebe führt sie von dort aus schließlich zu Marcus Niendorf und nach Lübeck. Und hier wohnen beide nun, in dem ehrwürdigen Patrizierhaus, über der Löwenapotheke, mitten drin im Lübecker Weltkulturerbe, der UNESCO-Altstadt. Auf den 120 Quadratmetern im Obergeschoss sind die Umbauarbeiten noch lange nicht abgeschlossen, es ist ein Prozess. „Wir haben ungemein Spaß an Architektur und viele Ideen im Kopf, die sich teilweise verwirklichen lassen werden, teilweise vielleicht auch nicht“, sinnieren beide. Unten in der Apotheke schreitet die kreative Tatkraft dagegen ungehindert voran. „Die Löwenmanufaktur ist unser Baby und in gewisser Hinsicht auch unser Vermächtnis an Lübeck“, erklärt Marcus Niendorf und schaut zu seiner Frau. Einmal mehr wird deutlich, wie gut sich dieses Paar ergänzt, denn die beiden kreativen Köpfe entwickelten das wunderschöne Produktdesign im Alleingang und setzen die Tinkturen und Salben auf den Fotos im Onlineshop perfekt in Szene. Mit einem unglaublich stilsicheren Auge drapiert Dietlind Wolf das Produkt, Kräuter, Schüsselchen und Zeichnungen – gelernt ist gelernt, und einigen Menschen ist es eben in die Wiege gelegt. „Mir liegt es am Herzen die Authentizität einer Sache auf dem Foto zu transportieren. Diesen Trend gibt es glücklicherweise bereits in der Foodfotografie, ich möchte dies auch auf die Pharmazie übertragen“, erklärt sie. Vielleicht ist es eben diese Authentizität, die das Gesamtpaket so charmant macht: Apotheker und Künstlerin, Lübeck und die Altstadtinsel und eine Vision von Tradition und schönen Dingen.

Tipps

„Wenn ich mal eine Auszeit brauche, neue Kraft tanken möchte, dann gehe ich in die Goldschmiede ‚Galerie Nimbus‘ von Hannes Kuhn und Ulla Herz und schaue mir einfach diese wunderschönen Sachen an.“
Marcus Niendorf

 

„Lübeck im Nebel und Lübeck bei Nacht. Wenn die Stadt sich selbst gehört, das liebe ich hier.“
Dietlind Wolf