Als wir den Klingelknopf an Nummer 100/102 drücken, öffnet uns eine gut gelaunte Nicola Petereit die Tür. Im Hintergrund warten Jörg Haufe und Tochter Irma auf ihren Einsatz. Heute wird nämlich das jüngste von insgesamt vier Kindern die Hausführung übernehmen. Bevor es aber der 9-Jährigen hinterhergeht, gibt es erst einmal einen Exkurs zur Baustruktur der Altstadt. „Der klassische Aufbau der Dielenhäuser besteht aus einem Vorderhaus, einem halb versetzen Seitenflügel und häufig aus Hofgebäuden“, erklärt Nicola Petereit. Während vorne Kaufmänner oder Handwerker lebten und darüber im Dielenboden Waren lagerten, schliefen im Seitenflügel die Gesellen und Mägde. Im Zuge des Bevölkerungswachstums zur Hansezeit und später zur Industrialisierung wurde der Wohnraum auf dem von Trave und Wakenitz umflossenen Altstadthügel verdichtet. In die Vorderhäuser mauerte man Durchgänge, sodass die Hinterhöfe zugänglich und bebaubar wurden. Diese Gänge waren so eng wie möglich, um kostbaren Platz zu sparen, und so breit wie nötig, damit wenigstens ein Sarg hindurchpasste. So entstanden die „Gänge und Höfe“, heute idyllische Stadtoasen, die so einzigartig sind, dass die UNESCO den mittelalterlichen Stadtkern 1987 zum Weltkulturerbe ernannte. Rund neunzig von ihnen sind bis heute erhalten und können größtenteils frei erkundet werden.
Auch das Handwerkerhaus, in dem das Paar lebt, besitzt einen solchen Gang, der heute als Fahrradgarage dient. Das Haus war ursprünglich ein Ensemble aus zwei Gebäuden (100 + 102), die im Zuge der Sanierung zusammengelegt wurden. Heraus kam dabei ein Grundriss von 200 Quadratmetern, mit zwei Eingängen und Treppenhäusern, einem Hof, unzähligen Stufen, 13 Ebenen und 17 mehr oder minder großen Zimmern, der Besucher zunächst etwas orientierungslos zurücklässt. Während uns Irma von vorne nach hinten durch das Haus führt, entdecken wir überall kleine Nischen, Schränke und viele historische Details aus verschiedenen Epochen. So wie die Holzkassetten und Stuckdecken in den Zimmern der beiden Töchter, die früher der Hausherr bewohnte. „Hier kann man gut erkennen, dass der einst hier wohnhafte Handwerker einen durchaus repräsentativen Anspruch hatte“, erklärt Jörg Haufe. „Zwar war er an die Zunft gebunden und konnte daher nicht so viel verdienen, wie er gekonnt hätte; das hielt ihn aber nicht davon ab, dem Kaufmann nachzueifern“, erklärt er.